Projektleitung: Falk Ebinger
Laufzeit: 05/2010-07/2012.
Forschungslücke
Konkret wird eine für Verwaltungsforschung und Staatsorganisationslehre, aber auch für Politik und Verwaltungspraxis hoch relevante Fragestellung adressiert: Bis heute kann wissenschaftlich keine auch nur im Ansatz zufriedenstellende Antwort auf die Frage gegeben werden, welche Faktoren die belegten Leistungsunterschiede zwischen Behörden mit identischen Aufgaben erklären. Zwar befassen sich gerade im angelsächsischen Raum etliche der Public Administration zuzurechnende Forschungsstränge aus (bspw. zu organizational autonomization, leadership, organizational committment, job satisfaction) teils intensiv mit dieser Frage, eine theoretische Integration noch ein überzeugender empirischer Test dieser Annahmen ist bisher jedoch nicht gelungen. Wesentliche Fragen zur Organisation, Steuerung, Kultur oder Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung müssen folglich als unterforscht gelten. Entsprechend wird in den deutschen Bundesländern ein und dieselbe bundesgesetzlich regulierte Aufgabe in 16 verschiedenen Organisationsmodellen erledigt. Im Rahmen des Projekts kann gezeigt werden, dass die von der Verwaltungsforschung der 1960er und 1970er Jahre entwickelt Annahmen zu den Effekten einer Zentralisierung respektive Dezentralisierung von Aufgaben, der Schaffung von Sonderbehörden für einzelne Verwaltungszweige oder ihrer Zusammenfassung in sog. Bündelungsbehörden (den Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen), der Länge von Hierarchieketten, der Größe von Zuständigkeitsbereichen oder von Kommunalisierungen eher anekdotisch belegt und die Befunde widersprüchlich sind. Ursache für diese Forschungslücke sind fehlende Ressourcen, mangelnde Kooperation zwischen wissenschaftlichen Disziplinen und Denkschulen sowie beträchtlicher methodologischer Schwierigkeiten.
Stand der Forschung
Die Forschung zur Performanz öffentlicher Verwaltungen ist hoch fragmentiert. Es existiert weder ein universell anerkanntes Konzept der Performanz noch ihrer Erklärungsfaktoren in der Literatur, dafür zahllose sich widersprechende Hypothesen über die Wirkung struktureller und prozessualer Charakteristiken der Verwaltungsorganisation. So haben sich ausgehend vom angelsächsischen und skandinavischen Raum verschiedene, weitgehend voneinander isolierte Forschungsstränge zu unterschiedlichsten Einflussflussfaktoren wie bspw. den Effekten der Verselbständigung von Behörden (Agencification), Performance Measurement und Performance Management, dem Einfluss von Führungsstil (Leadership), dem vorliegen von klaren Zielen (Goal Ambiguity) und der Arbeitszufriedenheit und emotionalen Bindung der Mitarbeiter (Job satisfaction, Organizational Commitment) entwickelt und verschiedenste Ansätze zur Definition und Messung von Verwaltungsleistung herausgebildet. Ebinger legt dar, wie stark ausdifferenziert diese “Schulen“ sind. Umfassende Erklärungsmodelle sind bisher ebenso selten wie Betrachtungen, die zwischen verschiedenen Aspekten von Verwaltungsleistung differenzieren. Darüber, ob diese Rahmenbedingungen einen Einfluss auf den Vollzug der Aufgabe haben, liegen bisher nur Mutmaßungen (anekdotische Evidenz) vor. Die systematische und vor allem alle potentiellen Erklärungsfaktoren integrierende Erforschung dieses Zusammenhangs ist die Voraussetzung für eine rationale (und damit auch effektive und kostengünstige) Gestaltung der Verwaltung. Die Entwicklung eines diese zahlreichen Ansätze integrierenden Modells kann als zentrales Desiderat der verwaltungswissenschaftlichen Forschung bezeichnet werden, da es Voraussetzung für die theoretische Durchdringung wie für den empirischen Test der Annahmen ist.
Untersuchungsdesign
Das Forschungsprojekt bereitet aus einer interdisziplinären Perspektive die in Verwaltungswissenschaft, Organisationssoziologie, Rechtswissenschaft, Betriebswirtschaft und Organisationssoziologie fragmentierte Literatur gründlich auf, identifiziert Überschneidungen und Lücken in den verwandten Konzepten und diskutiert ihren Nutzen für ein integriertes Erklärungsmodell. Auf dieser Basis gelingt es, ein holistisches theoretisches Modell zur Erklärung von administrativer Performanz zu entwickeln, welches einerseits ein breites Spektrum theoretisch relevanter Erklärungsfaktoren, andererseits auch mehrere relevante Performanzdimensionen integriert und hypothetisch verknüpft.
In der Literatur werden zusammenfassend drei Erklärungsfaktoren für die Vollzugssituation und Leistung von öffentlichen Verwaltungen diskutiert: (1) die Verwaltungsumwelt (Verhältnis zu Politik und Dritten, Governance der Behörde), (2) Verwaltungsstrukturen (Anlagerung, Legitimation, Aufgabenbündelung, Größe), (3) interne Prozesse und die „Verwaltungskultur“ im Sinne der Unterstützung und der den Mitarbeitern zugestandenen Autonomie in der Ausführung ihrer Aufgaben. Diese Einflussfaktoren gehen als unabhängige Variablen in das im Rahmen des Pro-jekts entwickelte Kausalmodell ein. Als Dimensionen von Performanz als abhängige Variable werden im Projekt nicht nur eindimensional die „üblichen“ Leistungsmerkmale wie die Effizienz des Vollzuges aufgegriffen, sondern auch Aspekte der Rechtsstaatlichkeit, Leistungsqualität und Mitarbeiterzufriedenheit integriert.
Das Forschungsprojekt gliedert sich in zwei Schritte:
Empirischer Test im Untersuchungsfeld: Arbeits- und Immissionsschutz
Eine Erforschung des Zusammenhangs zwischen Strukturen, Führungskultur und Vollzugshandeln muss politikfeld- und aufgabenbezogen sein, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Eine Befragung der Mitarbeiter in technischem Arbeitsschutz und anlagenbezoge-nem Immissionsschutz bietet sich an, da (1) sie auf einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage operieren, (2) ein hohes Know-how erfordern, (3) über entsprechend hoch qualifizierte Mitarbeiter verfügen und (4) das Themenfeld eine hohe politische Aufmerksamkeit genießt, so dass die Rahmenbedingungen sehr gut kontrolliert und die Wirkung der institutionellen Einflussfaktoren auf den Verwaltungsvollzug sehr gut sichtbar werden sollten. Gleichzeitig bietet der Arbeits- und Immissionsschutz eine hohe Varianz an institutionellen Lösungen im Ländervergleich: Es lassen sich vier realtypische, in den Ländern zur Erledigung der Aufgaben im Kontext des BImSchG und ArbSchG eingesetzte Modelle unterscheiden:
Die Datenerfassung in den bundesdeutschen Flächenländern, teils auf mehreren Verwaltungsebenen, ermöglicht die vergleichende Analyse der angenommenen Struktur- und Führungseffekte.
Zum empirischen Test des Untersuchungsmodells wurden in Zusammenarbeit mit Fachministerien und Fachorganisationen die Spezialisten in den Untersuchungsfeldern mittels eines Fragebogens befragt. Der von den fast 500 Antwortenden gewonnene Datensatz erlaubt die Anwendung multivariater statistischer Methoden. Mit ihrer Hilfe konnten deskriptive Vergleiche verschiedener Organisationsmodelle hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ver-schiedensten Aspekte des Verwaltungshandelns, explorative Analysen und kausalanalytische Tests der Zusammenhänge struktureller und prozessualer Aspekte mit weiteren Merkmalen des Verwaltungshandelns vorgenommen werden.
Die im Rahmen dieses Forschungsprojekts ermittelten Befunde sind für die Verwaltungsforschung, aber auch für die Verwaltungspraxis von höchster Relevanz und wurden unter dem Titel Wege zur guten Bürokratie. Erklärungsansätze und Evidenz zur Leistungsfähigkeit öffentlicher Verwaltungen im Nomos Verlag Baden-Baden veröffentlicht. Es kann gezeigt werden, dass die verschiedenen realtypischen Verwaltungsorganisationsmodelle sich tatsächlich hinsichtlich der in ihnen gepflegten Führungskultur sowie der aus ihnen berichteten Performanz unterscheiden.
Insb. die strukturbezogenen Variablen wie vertikale und horizontale Spezialisierung vereinen jeweils Vor- und Nachteile auf einzelnen Dimensionen in sich. So weisen bspw. von Bürgermeistern oder Landräten geführte Einheiten ein positiveres Kundenbild auf als staatliche Einheiten, allerdings werden sie auch als deutlich ineffizienter bewertet. Eine positiv bewertete Führungskultur wie bspw. höhere Grade an Unterstützung, Zielklarheit und Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen führen hingegen tatsächlich auch zu höheren Performanzbewertungen.
Es wird jedoch auch deutlich dass es keine „omnipotente Schlüsselvariable“ gibt, die zu einer verbesserten Leistung auf allen Performanzdimensionen führt. Es gibt also kein ‘ideales‘ Organisationsmodell, vielmehr sind je nach den gesetzten Prioritäten – sei es Effizienz, Qualität oder Rechtsstaatlichkeit der Aufgabenerledigung – andere Modelle zu bevorzugen sind. Verwaltungsorganisation bleibt also trotz allem eine politische Entscheidung.
Schließlich kann mittels eines Mediatorenmodells auch gezeigt werden, dass Strukturvariablen und Führungskultur nicht unabhängig voneinander sind. Im Gegenteil, die strukturbezogenen Faktoren beeinflussen die Mehrzahl der Aspekte der Führungskultur und wirken durch diese auch auf die Performanz. Dies bedeutet, dass sich die Führungskräfte einer Behörde dem Einfluss der äußeren Strukturen nicht gänzlich entziehen können, sondern ein spezifisches Führungsverhalten an den Tag legen.
In Ergänzung zur Buchpublikation finden Sie hier einen elektronischen Anhang.
Das Forschungsprojekt liefert einen wichtigen Beitrag zu einer Reihe von politik- und verwaltungswissenschaftlichen Forschungsfeldern, aber auch für die praktische Politik und Verwaltungsarbeit. So kann das theoretische Modell sowie das Forschungsdesign beliebig auf anderen Untersuchungsfälle und Länder übertragen und ein umfassendes Mapping der spezifischen Effekte von Struktur und Führung über alle Verwaltungsteile erstellt werden. Politikberatend können die Befunde der Untersuchung unmittelbar rezipiert und bei Überlegungen zur Neugestaltung von Verwaltungsstrukturen – zumindest im Bereich komplexer technisch-planender Aufgaben als Blaupause für zu erwartende Struktureffekte verwandt werden. Verwaltungsberatend bietet die Arbeit schließlich die Chance, das Führungsverhalten innerhalb von Behörden ins Zentrum einer performanzorientierten Debatte zu ziehen. Die offensichtlich gewordene Bedeutung der Führungskultur könnte Anstöße dazu geben, die Unterstützung, Klarheit der Zielformulierung sowie die den vollziehenden Einheiten zugestandene Autonomie zu überdenken.
Veröffentlichungen im Projektkontext
Eigene Vorarbeiten