Förderung: Brost-Stiftung
Projektleitung:
Prof. Dr. Jörg Bogumil, Lehrstuhl für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik, Ruhr-Universität Bochum
Mitarbeiter in Bochum: Philipp Gräfe, M.A.
Laufzeit: 07/2024 bis 06/2026
Der deutsche Sozialstaat ist durch eine besondere Komplexität gekennzeichnet. Er ist strukturell in zahlreiche ausdifferenzierte Rechtskreise bzw. Leistungsbereiche zerfasert (z.B. die verschiedenen Sozialgesetzbücher) mit der Folge, dass die Verwaltungszuständigkeiten fragmentiert sind. Zudem verfehlen bestehende Sozialleistungen mitunter ihre intendierten Wirkungen – insbesondere, weil Leistungen gar nicht erst in Anspruch genommen werden (Beispiel: Kinderzuschlag, Bildungs- und Teilhabepaket). Zudem werden große Teile von Sozialleistungen durch einen komplexen „Trägermix“ freier, (üblicherweise) nicht-profitorientierter Organisationen durchgeführt, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Auch hier entsteht ein komplexes Dreiecksverhältnis mit Schnittstellen zwischen Verwaltung und Bürger, Verwaltung und privatem Leistungserbringer und zwischen Leistungserbringer und Bürger.
Diese Vielzahl von Schnittstellen und die Art und Weise der öffentlichen Förderung hat zu einer steten Zunahme an Bürokratie geführt. Entstanden sind eine ausgeuferte Förderbürokratie mit erheblichen Verpflichtungen an Abrechnung, Kassenführung und Jahresabschluss, Dokumentationspflichten für Maßnahmen, Vorgaben für verwendete Formulare und Arbeitsweisen, für Datenmanagement, IT-Systeme und Personal sowie Evaluationspflichten. Auch im direkten Verhältnis von Verwaltungen zu den bedürftigen Bürgern bestehen zahlreiche (oft unnötige) Bürokratielasten durch komplizierte Antragstellungen, unnötige Nachweispflichten und unklare Zuständigkeiten. Dieser unnötige Formalismus und die ständig wachsende Bürokratisierung treffen auf organisatorische und institutionelle Unzulänglichkeiten und führen zu Überforderungen von Antragstellenden und Verwaltungen. All dies delegitimiert zunehmend die staatliche Autorität.
Das Projekt beabsichtigt hier an zwei zentralen Stellen in ausgewählten Kommunen des Ruhrgebietes anzusetzen, einer Entbürokratisierung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (BuT) von Kindern und Jugendlichen (Schulbedarf, Teilhabebedarf, Schülerbeförderung, Leistungen für Nachhilfe, Ausflüge, Klassenfahrten, Mittagsverpflegung) und einer Entbürokratisierung der öffentlichen Förderung im Bereich der Wohlfahrtspflege.
Das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) verfolgt das Ziel, die Bildung und die soziale und kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Haushalten besser sicherzustellen (Schulbedarf, Teilhabebedarf, Schülerbeförderung, Leistungen für Nachhilfe, Ausflüge, Klassenfahrten, Mittagsverpflegung). Dies gelingt aber bisher nicht hinreichend. Hintergrund sind die sehr unterschiedlichen Ausgestaltungen zwischen den Kommunen und damit verbunden sehr unterschiedliche Inanspruchnahmen dieser Leistungen. Ein wesentlicher Grund liegt in den bürokratischen Hürden, die im Fokus des Teilprojekt stehen.
Untersucht werden bürokratische Hürden bei Beantragung, Bewilligung sowie Erbringung im Leistungsspektrum der Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen (BuT). Zielsetzung ist, die (unnötigen) Belastungen sowie nicht-intendierte Wirkungen aufseiten der Leistungsadressaten systematisch erfasst werden. Darüber hinaus sollen die BuT-Verwaltungsprozesse der verschiedenen Ruhrgebiets-Kommunen verglichen werden. Beabsichtigt ist eine vergleichende Untersuchung und Heraushebung von Good Practice-Beispielen, die anschließend durch öffentliche Handlungsempfehlungen und einem Workshop mit Kommunalvertretern sowie den Verbänden als Multiplikatoren diskutiert und bekannt gemacht werden. Im Ergebnis sollen zudem Materialien als konkrete Hilfestellung für Leistungsberechtigte erstellt werden. Vorgesehene Arbeitsschritte sind:
In Deutschland folgt das öffentliche Handeln in der Sozialpolitik dem Grundsatz der „Subsidiarität“. In diesem System fällt es nicht vorrangig dem Staat zu, Leistungen der Wohlfahrtspflege oder Jugendhilfe zu erbringen, sondern einem komplexen „Trägermix“ freier, (üblicherweise) nicht-profitorientierter Organisationen. Die öffentliche Hand hat in diesem Rahmen die Aufgabe des Gewährleisters inne, der die privaten Angebote finanziert sowie steuert und koordiniert und die Letztverantwortlichkeit übernimmt und bei Bedarf ggf. selbst Angebote zur Verfügung stellt. Für privat bzw. gemeinnützig erbrachte, aber öffentlich geförderte soziale Projekte folgen hieraus jedoch häufig umfangreiche bürokratische Lasten. Nicht nur sind die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung durch rechtliche Vorgaben der Sozialgesetzgebung sowie des Vergaberechts oft schon vordeterminiert, in Ausübung ihres Steuerungs- und Kontrollinteresses stellen Fördergeber wie Kommunen und Landesministerien weitere, zusätzliche Vorgaben und Verpflichtungen für die Leistungserbringer auf. Bei der Antragstellung auf Förderung sind insofern bereits zahlreiche bürokratische Hürden zu überwinden. Die staatliche Förderung bringt auch Verpflichtungen an Abrechnung, Kassenführung und Jahresabschluss, Dokumentationspflichten für Maßnahmen, Vorgaben für verwendete Formulare und Arbeitsweisen, für Datenmanagement, IT-Systeme und Personal sowie Evaluationspflichten mit sich. Über den genauen Umfang und die Zusammensetzung dieser Bürokratielasten ist jedoch wenig bekannt; eine systematische Erhebung, wie Fördermittelgeber auch abseits gesetzlicher Vorgaben Bürokratielasten verstärken, fehlt bislang. Die Bürokratielast birgt jedoch die Gefahr, dass in den Projekten viele Ressourcen in die Erfüllung bürokratischer Pflichten fließen und somit bei der Erfüllung der sozialen Ziele fehlen.
Im Teilprojekt sollen Bürokratielasten bei der Beantragung und Durchführung sozialer Projekte durch gemeinnützige private Leistungsträger untersucht werden. Hierzu sollen die Erwartungen und Problemstellungen auf Seiten von Fördermittelgebern und -empfängern wechselseitig vermittelt werden und in letztliche Handlungsempfehlungen für beide Seiten einfließen. Das Vorhaben zielt dabei auf Sozialprojekte in öffentlicher Förderung durch Kommunen und/oder das Land. Betrachtet werden sollen nicht nur Projekte großer Wohlfahrtsverbände (AWO, Caritas, Diakonie, DPWV), sondern auch kleine, lokal im Ruhrgebiet entstandene Initiativen und Vereine, die Sozialprojekte betreiben oder betreiben wollen. Im Einzelnen sind folgende Arbeitsschritte geplant:
Erarbeitung konkreter Handreichungen für Sozialprojekte (Webseite, Broschüre) in enger Zusammenarbeit mit Kommunen/Sozialverbänden